Der rote Faden

Ein Abend mit Dieter Bednarz im Glashaus Rieselfeld

Ein „roter Faden“ ist ebenso wichtig wie Offenheit, Neugier und Toleranz: Wer noch staunen kann, der ist nicht alt. Das ist die Quintessenz eines Abends mit Dieter Bednarz im Rieselfelder Glashaus. Eloquent und amüsant trägt der ehemalige SPIEGEL-Korrespondent, Jahrgang 1956, seine Erlebnisse auf der Suche nach gelingendem Älterwerden vor. Bednarz scheut sich nicht, die Verletzungen offenzulegen, die die Erkenntnis, eben nicht auf ewig der unersetzliche Mitarbeiter eines weltbekannten Magazins zu sein, hinterlassen hat. Ein langer Weg vom strahlenden Helden zur Wahrnehmung „Jetzt bist du alt“…

Nach launigem Einstieg mit (etwas zu selbstverliebten) Plaudereien aus dem privaten Nähkästchen, über späte Heirat, das Vaterwerden mit 50 und die damit verbundenen Mühen (bezeichnender Buchtitel „Überleben an der Wickelfront“), kriegt Dieter Bednarz dann doch noch die Kurve zum zentralen Thema: Wie schafft man(n) es, das eigene Älterwerden nicht nur zu akzeptieren, sondern dem dritten und vierten Lebensabschnitt eine eigene, eine neue und lohnende Qualität abzugewinnen? Eigentlich hätte Bednarz ja schon noch „einige Ideen, wie man die Welt retten kann“ gehabt, doch der neue Chef lockte: „Unsere Vorruhestandmodelle, die guckst du dir nochmal an…“ Bednarz‘ Erkenntnis: „Er sprach über die Vergangenheit, ich über die Zukunft.“ Diese Kluft zwischen Perspektive und Retrospektive eröffnete ihm eine andere Wahrnehmung der Realität: „60 ist mehr als eine Zahl.“ In der Tat: Positiv konnotiert ist die 50prozentige Ermäßigung der BahnCard, ambivalent der ermäßigte Eintritt in den Freizeitpark – noch dazu begleitet vom Kommentar der Ehefrau: „Der Papa ist jetzt so alt, dass er die eine oder andere Vergünstigung bekommt.“ Eher ernüchternd die Einsicht, dass das Altwerden gerade erst beginnt.

Wer auch immer Dieter Bednarz den Tipp gab, mit persönlicher Note über das Alter zu schreiben – das war der Auslöser für sein Buch „Zu jung für alt“, das er an diesem Abend auf Einladung von Charly Strödter innerhalb der Veranstaltungsreihe „Leben – Stadt – Alter“ vorstellte. Aus seinen Begegnungen mit unterschiedlichen Experten fürs Älterwerden – von Silke van Dyk in Jena über Professor Tesch-Römer vom Deutschen Zentrum für Altersfragen e.V. in Berlin bis zu Ex-Fußball-Nationalspieler Philipp Lahm, der eine Stiftung für Sport und Bildung gegründet hat – kristallisierten sich drei Sichtweisen auf das Alter heraus:

  • Alter als neutrales Ereignis: Menschen dieser Kategorie bereiten sich rechtzeitig auf ein gesundes bewusstes Altwerden vor
  • Alter als Gewinn: Zwänge verschwinden, die Zeit lässt sich selbstbestimmt gestalten, auch Arbeitslose profitieren – die Rente ist das geringere Stigma.
  • Alter als Verlust: Die tragende und identitätsstiftende Berufsrolle fällt weg, eine Alternative muss erst noch gefunden werden.

Tipps für gelingendes Älterwerden hat Dieter Bednarz auch parat: Weiten Sie Ihren Blick und erkennen Sie die Vorteile des Alters. Netzwerke erleichtern den Übergang in den Ruhestand. Suchen Sie sich ein identitätsstiftendes Hobby. Lebenslanges Lernen für die inhaltliche Erfüllung. Anknüpfen an verschüttete Talente. Alles richtig, aber leichter gesagt als getan. Nicht zuletzt belastet der Abschied von alten Träumen, bevor man loslassen und Neues erproben kann. Wenn man überhaupt kann – kurz vor der anschließenden Podiumsdiskussion besinnt sich Dieter Bednarz auf seine eigene saturierte Stellung: Wir sollten uns stets bewusst sein, wie privilegiert wir sind, überhaupt hier sitzen und über unser Älterwerden nachdenken zu können.

Auch wenn Vorträge dieser Art zum (Nach-)Denken anregen, wäre es wünschenswert, den Austausch zu suchen: Welche Erfahrungen haben die Menschen im Saal mit dem eigenen Älterwerden gemacht? Wie gehen sie mit dem Verlust vitaler körperlicher und geistiger Funktionen um und wie individuell wird dieser Prozess erlebt? Wie findet man den zitierten „Kontakt zum inneren Kind“ wieder? Wie kann man „Veränderungen als Möglichkeiten erkennen“? Wie lassen sich innere Beweglichkeit und Lebendigkeit (wieder)finden? Und nicht zuletzt: Wie fühlt sich die „Freiheit“ an, wenn man in prekären Verhältnissen lebt?

Was jede*r Einzelne aus dem Älterwerden macht – das wäre spannend gewesen, zu erfahren. Chancen und Möglichkeiten gibt es genug. Mann und Frau müssen sie „nur“ finden!

Sigrid Hofmaier, 13. April 2019

Dieter Bednarz, Zu jung für alt – Vom Aufbruch in die Freiheit nach dem Arbeitsleben, Edition Körber, 19 Euro

Ein Gedanke zu „Der rote Faden

  • 17. April 2019 um 07:35 Uhr
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    Ein motivierenden Bericht zu einem spannenden Abend! Macht mir so richtig Lust, mich mit anderen auszutauschen, über die Vielfalt des Älter werden und all den Perspektiven, die damit verbunden sind. Herzlichen Dank für diese Bericht!

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